Wirtschaftlichkeitsprüfung: Entlastung durch Kostendifferenzausgleich bei Regressen

Der mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) im Mai 2019 in das SGB V neue eingeführte § 106b Abs. 2a bringt eine der interessantesten, aber auch Klarheit schaffenden Neuerungen im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung ärztlich verordneter Leistungen.

§ 106 Abs. 2a SGB V lautet

„Nachforderungen nach Absatz 1 Satz 2 sind auf die Differenz der Kosten zwischen der wirtschaftlichen und der tatsächlich ärztlich verordneten Leistung zu begrenzen. Etwaige Einsparungen begründen keinen Anspruch zugunsten des verordnenden Arztes. Das Nähere wird in den einheitlichen Rahmenvorgaben nach Absatz 2 vereinbart.“

Der GKV-Spitzenverband und die KBV haben nun zum 1. Mai 2020 Rahmenvorgaben erlassen. Diese bilden die Grundlage für die zwischen den Landesverbänden der Krankenkassen und Ersatzkassen und den Kassenärztlichen Vereinigungen gem. § 106b Abs. 1 SGB V regional zu treffenden Prüfvereinbarungen und sollen einen bundeseinheitlichen Mindeststandard schaffen, um in den wesentlichen Sachverhalten eine einheitliche Vorgehensweise bei den Wirtschaftlichkeitsprüfungen nach
§ 106b SGB V zu gewährleisten.

Kostendifferenzausgleich

Danach müssen Ärzte im Fall eines Arznei- oder Heilmittelregresses grundsätzlich nicht mehr - wie bislang - für die gesamten Kosten einer unwirtschaftlichen Verordnung aufkommen, sondern nur den Mehrpreis, d.h. den Differenzbetrag zwischen der wirtschaftlichen und der tatsächlich verordneten Leistung, erstatten. Die Kostendifferenzberechnung kommt nun bei fast allen Leistungen zur Anwendung; auch i.R.v. Einzelfallprüfungen.

Ein Regress in Form des Kostendifferenzausgleichs findet auch bei allen Verordnungseinschränkungen und -ausschlüssen aufgrund von Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) statt. Dazu zählen bei Arzneimitteln unter anderem Prüfanträge wegen der Verordnung außerhalb des zugelassenen Indikationsspektrums (Off-Label-Use).

Ebenfalls soll der Differenzausgleich bei der Prüfmaßnahme „Beratung vor Regress“ angewendet werden. Die Differenzberechnung dient somit nicht nur der Ermittlung der zu erstattenden Summe, sondern kann auch der Auffälligkeitsbestimmung dienen. Durch die Differenzberechnung kann ein Arzt also unter die Auffälligkeitsgrenzen gelangen und damit „noch nicht“ von einer individuellen Beratung vor Regress erfasst werden und sich diese also für etwaige zukünftige Verfahren „aufsparen“.

Der Kostendifferenzausgleich gilt ausdrücklich nicht für Verordnungen, die bereits gem. § 34 SGB V oder nach Anlage 1 der Heilmittel-Richtlinie ausgeschlossen sind oder die Voraussetzungen nach § 12 Abs. 11 Arzneimittel-Richtlinie nicht erfüllen. Zu diesen generellen Verordnungsausschlüssen gehören beispielsweise gesetzliche Ausschlüsse wie Lifestyle-Arzneimittel (§ 34 Abs. 1 SGB V aE) oder Erkältungsmedikamente (§ 34 Abs. 1 Satz 4 Nr.1 SGB V) und Ausschlüsse nach der Heilmittel-Richtlinie, wie zum Beispiel die Musiktherapie.

Wirtschaftlichkeit der beanstandeten Leistungen

Welche Leistung „wirtschaftlich“ ist, wird von den regionalen Vertragspartnern auf Landes- oder KV-Bezirksebene festgesetzt und dürfte künftig noch zu hitzigen Diskussionen führen. Die Rahmenvorgaben geben vor, dass die regionalen Vereinbarungspartner Regelungen zu der zu berücksichtigenden wirtschaftlichen Leistung und deren Kosten treffen.

Anstelle der im jeweiligen Verfahren festzulegenden wirtschaftlichen Leistung können aber auch indikationsbezogene durchschnittliche Verordnungskosten einzelner Prüfungsgegenstände festgelegt und berücksichtigt werden. Endgültig bestimmt die Prüfungsstelle die für die zur Berücksichtigung der Kostendifferenz zu Grunde zu legende Leistung. Neben den Richtlinien des GBA berücksichtigt sie dabei auch den Stand der evidenzbasierten medizinischen Erkenntnisse.

Gleiches gilt nach den Rahmenvorgaben auch im Rahmen von Einzelfallprüfungen für die durchschnittlichen wirtschaftlichen Verordnungskosten.

Fristen

Rechtssicherheit gewinnen Ärzte durch die verkürzten Fristen des § 106 Abs. 3 Satz 3 SGB V. Demnach muss die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung für ärztliche Leistungen innerhalb von zwei Jahren ab Erlass des Honorarbescheides und für ärztlich verordnete Leistungen innerhalb von zwei Jahren ab dem Schluss des Kalenderjahres, in dem die Leistungen verordnet worden sind, erfolgen. Laut Rahmenvorgaben hemmen weder die Mitteilung der Prüfungsstelle an den Arzt über die Durchführung einer Wirtschaftlichkeitsprüfung, noch die Antragsstellung einer Krankenkasse im Falle von Einzelfallprüfungen die vorgenannte Frist.

Auch im Falle eines Widerspruchsverfahrens soll die Entscheidung des Beschwerdeausschusses innerhalb von zwei Jahren nach Zugang des Widerspruchs bei der Prüfungsstelle erfolgen.

Inkrafttreten

Die neuen Rahmenvorgaben, mithin der Kostendifferenzausgleich, gelten für Prüfverfahren, die Prüfzeiträume betreffen, welche ärztlich verordnete Leistungen ab dem 11.05.2019 umfassen. Bei beanstandeten Leistungen ab dem 11.05.2019 betrifft dies also bei einer Quartalsprüfung das gesamte Quartal 2/2019. Bei jahresbezogenen Richtgrößenprüfungen sind daher alle Verordnungen ab dem 1. Januar 2019 umfasst.

Datum

Rechtsgebiet Wirtschaftlichkeitsprüfung

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