Vertragsarztsitz: Abwehrklage eines Konkurrenten möglich - aber nur unter engen Voraussetzungen

Das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel hat entschieden (Beschl. v. 23.3.2023 – B 6 KA 29/22 B), dass ein Vertragsarzt die Zulassung eines Kollegen nur unter bestimmten Bedingungen anfechten darf: Die Anfechtung ist nur zulässig, wenn der Status des neu zugelassenen Konkurrenten gegenüber dem eigenen Status nachrangig ist.

Der Fall

Nachdem der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Schleswig-Holstein festgestellt hatte, dass in dem streitgegenständlichen Planungsbereich für die Fachgruppe der Orthopäden keine Überversorgung mehr besteht und ein weiterer Arzt dieser Fachgruppe im Umfang eines vollen Versorgungsauftrages nachbesetzt werden kann, wurde im Jahr 2013 ein neuer Vertragsarztsitz für Orthopädie in Schleswig-Holstein eröffnet. Den Zuschlag erhielt ein Einzelorthopäde, während sich eine Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) aus drei Orthopäden, die zwei Teilzeitkollegen einstellen wollte, erfolglos beworben hatte. Die BAG versuchte daraufhin, die Besetzung des neuen Vertragsarztsitzes im Wege der defensiven Konkurrentenklage mit dem Argument anzugreifen, dass ein neuer Vertragsarztsitz überhaupt nicht hätte besetzt werden dürfen. Eine solche Klage dient nur der Abwehr von Konkurrenz und schafft keine eigene bessere Position. Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) wies die Klage aus formalen Gründen ab. Die Klägerin sei nicht anfechtungsbefugt: Vertragsärzte seien nur unter engen Voraussetzungen befugt, im Wege der defensiven Konkurrentenklage Entscheidungen anzufechten, die zugunsten anderer Vertragsärzte ergangen seien, da die Rechtsordnung bei der Ausübung beruflicher Tätigkeiten grundsätzlich keinen unmittelbaren Konkurrenzschutz gewähre. Eine Anfechtungsbefugnis könne die Klägerin nicht aus materiellen Grundrechten, sondern allenfalls aus einfachgesetzlichen, zugleich drittschützenden Vorschriften herleiten, denen ein Gebot der Rücksichtnahme auf die Interessen der bereits am Markt Etablierten zu entnehmen sei. Die hier (als einzig denkbar drittschützende) in Betracht zu ziehende einfachrechtliche Vorschrift des § 103 Abs. 3 SGB V, die dem Landesausschuss vorschreibt, dass früher angeordnete Zulassungsbeschränkungen aufzuheben sind, wenn die Voraussetzungen für eine Überversorgung entfallen, enthält eine solche Aussage jedoch nicht.

 

Die Entscheidung des BSG

Die Nichtzulassungsbeschwerde des BAG wurde nun vom BSG zurückgewiesen. Die BAG könne sich nicht auf eine Entscheidung des BSG aus dem Jahr 2009 zu Zweigpraxen berufen. Das BSG führte dazu aus, dass eine defensive Konkurrentenklage nur dann zulässig sei, wenn der Status des neuen Konkurrenten gegenüber dem eigenen Status nachrangig sei. Dies sei bei einem neu eröffneten Vertragsarztsitz nicht der Fall. Das Zulassungssystem diene nicht dem Schutz bereits zugelassener Ärzte: Zwar werden die bereits zugelassenen Vertragsärzte im Rahmen der teilweisen Öffnung ihres Planungsbereichs insoweit geschützt, als die ihnen einmal erteilte Zulassung bei einem Bewerberüberhang nicht zur Disposition steht. Für die Zulassung eines weiteren Vertragsarztes nach Wegfall der Überversorgung kommt es jedoch nicht auf eine konkrete Bedarfslage an. Auch hängt die Zulassung des neuen Bewerbers nicht von der Auslastung der bestehenden Vertragsarztpraxen oder deren Entfernung zur geplanten neuen Praxis ab, wie dies etwa bei dem besonderen Versorgungsauftrag zur Dialysebehandlung der Fall ist. Letztlich realisiere sich mit der teilweisen Freigabe des Planungsbereichs lediglich ein dem Vertragsarztsystem immanentes Wettbewerbsrisiko, das der bereits niedergelassene Vertragsarzt hinzunehmen habe.

Die BAG kann sich auch nicht auf andere Entscheidungen, auch nicht auf solche des Bundesverfassungsgerichts, zu nachrangigen Ermächtigungen berufen. Eine Kontrolle der Entscheidungen des Landesausschusses findet nur im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung der Zulassungsentscheidungen statt.

 

Datum

Rechtsgebiet Wettbewerbsrecht

Rindermarkt 3 und 4
80331 München

+49 89 18 94 43 0
info(at)tacke-koller.de