Zum Hintergrund
2013 beschloss der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten. Mit dem Gesetz wurde das Recht auf Einsichtnahme in die Patientenakte im BGB verankert. § 630g BGB regelt seitdem, dass dem Patienten auf Verlangen unverzüglich Einsicht in die vollständige, ihn betreffende Patientenakte zu gewähren ist, soweit der Einsichtnahme nicht erhebliche therapeutische Gründe oder sonstige erhebliche Rechte Dritter entgegenstehen. Der Patient kann auch elektronische Abschriften von der Patientenakte verlangen. Er hat dem Behandelnden jedoch die entstandenen Kosten zu erstatten.
Demgegenüber steht die 2018 in Kraft getretene Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Nach Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO kann eine betroffene Person eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, verlangen. Diese Kopie muss der Verantwortliche unentgeltlich zur Verfügung stellen, Art. 12 Abs. 5 S. 1 DSGVO.
Da in der Patientenakte personenbezogene Fragen enthalten sind, stellt sich die Frage, ob eine Kopie dieser Daten die ganze Patientenakte umfasst und wer die Kosten einer solchen Kopie tragen muss.
Vor dem Hintergrund der sich widersprechenden Regelungen des § 630g BGB sowie Art. 15 Abs. 3 DSGVO legte der BGH dem EuGH diese beiden Fragen vor. Außerdem wollte er wissen ob der Verantwortliche Kopien auch dann herausgeben muss, wenn der Betroffene legitime, aber datenschutzfremde Motive verfolgt.
Entscheidung des EuGH
Der EuGH hat in seinem Urteil nun festgestellt, dass Patienten nach der DSGVO ein Recht auf erste Kopie zustehen soll, ohne, dass ihnen hierdurch Kosten entstehen und ohne, dass sie ihren Antrag begründen müssen.
Die Frage, ob eine Kopie der Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, die ganze Patientenakte umfasse, hat der EuGH bereits im Mai 2023 entschieden. Kopien sind im Wesentlichen so herauszugeben, wie sie beim Verantwortlichen vorliegen („originalgetreue Reproduktion“, Rs. C-487/21). Jetzt hat der EuGH erneut klargestellt: eine Kopie der in der Patientenakte verarbeiteten Daten erstreckt sich grundsätzlich auf die gesamte Patientenakte, um eine Überprüfung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Daten zu ermöglichen und die Verständlichkeit der Daten zu gewährleisten, wie beispielsweise Diagnosen, Untersuchungsergebnisse, Befunde der behandelnden Ärzte und Angaben zu an ihr vorgenommenen Behandlungen oder Eingriffen.
Da Anfragen nach Art. 15 DSGVO grundsätzlich nicht begründet werden müssen, kommt es auf datenschutzfremde Gründe auch nicht an. Die nationalstaatliche Regelung des § 630g BGB kann den Anspruch auf Herausgabe von Kopien insoweit einschränken, um Rechte und Freiheiten Dritter zu schützen. Nicht ausreichend ist der Schutz wirtschaftlicher Interessen.
Damit stellt sich die Frage, ob §630g BGB tatsächlich (nur) dem Schutz wirtschaftlicher Interessen dient.
Empfehlung
Davon ist jedoch nicht auszugehen. Vielmehr ist § 630g BGB Ausfluss des Selbstbestimmungsrechts des Patienten. Es ist deshalb davon auszugehen, dass der BGH die Kostenfreiheit bejahen wird.
Damit ist jedem Arzt zu empfehlen, die erste Herausgabe von Kopien der Patientenakte dem Patienten nicht in Rechnung zu stellen.