BVerfG entscheidet erstmals über die TRIAGE

Mit seinem Beschuss vom 16.07.2020 lehnte das Bundesverfassungsgericht einen Eilantrag ab, den Gesetzgeber zu verpflichten, Regelungen über die Triage im Rahmen der Covid-19-Pandemie zu treffen.

Behinderte Menschen fürchten Nachteile

Die Beschwerdeführenden leiden unter verschiedenen Behinderungen und Vorerkrankungen. Sie gehören daher nach der Definition des Robert Koch-Instituts zu der Risikogruppe, bei der im Fall einer Covid-19-Erkrankung mit schweren Krankheitsverläufen zu rechnen ist. Sie befürchten, aufgrund ihrer Behinderung oder Vorerkrankung medizinisch schlechter behandelt oder gar von einer lebensrettenden Behandlung ausgeschlossen zu werden, weil statistisch gesehen bei ihnen die Erfolgsaussichten einer intensivmedizinischen Behandlung schlechter seien. Diese sollen in der Situation der Triage aber nach den bisherigen Empfehlungen der DIVI (Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin) entscheidend sein. Sie wenden sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die Untätigkeit des Gesetzgebers, der bislang keine Vorgaben für die Triage gemacht habe. Sie sind der Auffassung, der Gesetzgeber müsse seiner Schutzpflicht für Gesundheit und Leben nachkommen.

Entscheidungsgremium gefordert

Dabei richtete sich der Eilantrag darauf, dass vorläufig durch die Bundesregierung ein Gremium auch mit Interessenvertretungen der Betroffenen benannt werden müsse, das die Verteilung knapper intensivmedizinischer Ressourcen vorläufig regelt. Damit solle verhindert werden, dass die derzeit im Raume stehenden Empfehlungen der DIVI umgesetzt werden.

Karlsruhe sieht schwierige Fragen

Die Verfassungsrichter zeigten zwar durchaus Verständnis für die Beschwerdeführer. Sie würden schwierige Frage aufwerfen, ob und wann gesetzgeberisches Handeln in Erfüllung einer Schutzpflicht des Staates gegenüber behinderten Menschen verfassungsrechtlich geboten ist und wie weit der Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei Regelungen medizinischer Priorisierungsentscheidungen reiche. Dies könne man jedoch nicht in einem Schnellverfahren klären. Zudem würde sich die Situation der Beschwerdeführenden mit ihrem konkreten Ansinnen nicht wesentlich verbessern. Auch ein solches Gremium, wie gefordert, wäre nicht legitimiert, Regelungen mit der Verbindlichkeit einer gesetzgeberischen Entscheidung zu erlassen, auf die es den Beschwerdeführenden gerade ankommt.

Kein akuter Handlungsbedarf

Letztendlich sehe man derzeit keinen akuten Handliungsbedarf, da das Infektionsgeschehen derzeit entspannt und die intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten ausreichend seien. Es sei in Deutschland derzeit unwahrscheinlich dass die Situation der Triage eintritt.

Kommentar

Karlsruhe sieht zwar Handlungsbedarf, nimmt aber leider mit seiner Einschätzung des derzeitigen Infektionsgeschehen den Druck vom Gesetzgeber. Dieser muss nun aber reagieren. Derzeit kann das Handeln von Ärzten nur unter strafrechtlichen Gesichtspunkten bewertet werden. Dabei geht die herrschende Meinung davon aus, dass ein Arzt im Rahmen einer sogenannten ex ante Triage (d.h. zu wenig Ressourcen bei gleichzeitig eintreffenden Intensivpatienten) grundsätzlich einer rechtfertigenden Pflichtenkollision unterliegt. Sein Handeln ist damit nicht strafbar.

Umstritten ist hingegen die Behandlung der ex post Triage. Hier muss der Arzt entscheiden, ob er bei Eintreffen neuer Patienten, bei denen eine bessere Erfolgsaussicht besteht, die bestehende Behandlung von anderen Patienten abbrechen darf. Nach Auffassung des Deutschen Ethikrats liegt hier kein gerechtfertigtes Handeln vor. Die Ärzte können hier nur auf Entschuldigungsgründe hoffen mit der Folge, dass sie strafrechtlich in der Verwantwortung stehen. Hingegen sehen zahlreiche Straf- und Medizinrechtler auch hier einen Fall der rechtfertigenden Pflichtenkollision. Dieser unklare Zustand ist nicht tragbar. Ärzte müssen in einer solchen Situation auf juristische Vorgaben zurückgreifen können, innerhalb derer sie eine rechtlich sichere und ethisch vertretbare Entscheidung treffen können.

Fundstelle

Pressemitteilung Bundesverfassungsgericht Nr. 74/2020 vom 14. August 2020

Datum

Rechtsgebiet Medizinstrafrecht

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